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Die Architektur des Lebensvon@homology
Neue Geschichte

Die Architektur des Lebens

von Homology8m2024/08/18
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Dieser Abschnitt schlägt eine neue Definition des Lebens vor und konzentriert sich auf lebende Organismen als Kantsche Ganze, die katalytische und zwangsläufige Schließung erreichen. Er betont die Bedeutung kollektiv autokatalytischer Mengen in sich selbst reproduzierenden chemischen Systemen, stellt traditionelle Vorstellungen vom Leben in Frage und bietet neue Einblicke in seine Ursprünge.
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Autoren:

(1) STUART KAUFFMAN;

(2) ANDREA ROL.

Linktabelle

Zusammenfassung und Einleitung

Teil I. Eine Definition des Lebens

Teil II. Das erste Wunder: Die Entstehung des Lebens ist ein erwarteter Phasenübergang – TAP und RAF.

Teil III. Das zweite Wunder: Die Evolution der Biosphäre ist eine sich fortpflanzende, nicht ableitbare Konstruktion, keine Folgerung. Es gibt kein Gesetz. Die Evolution ist immer kreativ.

Teil IV. Neue Beobachtungen und Experimente: Gibt es Leben im Kosmos?

Schlussfolgerung und Danksagungen

Abbildungen und Referenzen

Teil I. Eine Definition des Lebens

Wir haben keine allgemein anerkannte Definition von Leben. Wir gehen hier von Folgendem aus: Leben ist ein nicht im Gleichgewicht befindliches, sich selbst reproduzierendes chemisches Reaktionssystem, das Folgendes erreicht: i. Kollektive Autokatalyse, ii. Zwangsabgeschlossenheit, iii. Räumliche Abgeschlossenheit; iv. als solche sind Lebewesen Kantsche Ganze. Wir erklären diese Konzepte weiter unten.


Kollektiv autokatalytische Sets


Ein kollektiv autokatalytisches Set, CAS, ist ein offenes chemisches Reaktionssystem, das mit exogenen molekularen und energetischen Bausteinen gespeist wird und die Eigenschaft hat, dass ein letzter chemischer Reaktionsschritt, der jedes Molekül im Set bildet, durch mindestens ein Molekül im Set oder durch ein Molekül im Nahrungsset katalysiert wird. Abbildung 1a zeigt ein einfaches Beispiel, (2). Abbildung 1b zeigt ein komplexeres Beispiel (3).


Das Konzept, dass Leben auf vorlagenreplizierenden Polynukleotiden basieren muss, dominiert seit etwa 50 Jahren die Forschung zur Entstehung des Lebens (4,5). Die Replikation eines „nackten replizierenden RNA-Gens“ ist bisher jedoch noch nicht gelungen (6). Dennoch könnte dieses Ziel erreicht werden.


Das bekannte Konzept einer doppelsträngigen RNA-Sequenz mit Matrizenreplikation ist ein spezifisches Beispiel für einen kollektiv autokatalytischen Satz. Jeder Strang ist ein Matrizenkatalysator für die Synthese des anderen Strangs. Das Konzept der kollektiven Autokatalyse ist jedoch viel umfassender.


In scharfem Gegensatz zu den Hoffnungen auf eine replizierbare RNA-Sequenz wurden kollektiv autokatalytische DNA-, RNA- und Peptidsätze konstruiert. Der erste, ein kollektiv autokatalytischer DNA-Satz, wurde von G. von Kiedrowski konstruiert (7). Ein kollektiv autokatalytischer RNA-Satz wurde von N. Lehman und Kollegen entwickelt (8). Dieser Satz organisiert sich spontan selbst, wenn seine Bausteine vorliegen. Ein kollektiv autokatalytischer Satz aus neun Peptiden, der von G. Ashkenasy konstruiert wurde (9), ist in Abbildung 2 dargestellt. Autokatalytische Lipidsätze wurden ebenfalls in Betracht gezogen (10).


Diese Ergebnisse sind von grundlegender Bedeutung. Es gelingt, selbstreproduzierende offene chemische Reaktionssysteme zu schaffen.


Überraschende Beweise belegen nun die Existenz von kleinen Molekülgruppen, die kollektiv autokatalytische Gruppen enthalten, die weder DNA, RNA noch Peptidpolymere enthalten, in allen 6700 Prokaryonten, Abbildung 3, (11,12). Diese kleinen Molekülgruppen, die sich selbst reproduzieren, enthalten Hunderte bis mehrere Tausend kleine Moleküle und Reaktionen zwischen ihnen. Diese autokatalytischen Gruppen synthetisieren mehrere Aminosäuren und ATP. Die Gruppen werden rechnerisch identifiziert. Es bleibt zu zeigen, dass sie sich in vitro reproduzieren.


Das Vorhandensein von kollektiv autokatalytischen Gruppen kleiner Moleküle in allen 6700 Prokaryonten weist stark darauf hin, dass die ersten chemischen Systeme im Universum, die zur Selbstreproduktion fähig waren, genau solche Gruppen waren. Im Folgenden zeigen wir, dass die Entstehung solcher Gruppen zu erwarten ist.


Die Identifizierung von autokatalytischen Sätzen kleiner Moleküle ist von Bedeutung für die anhaltende Debatte über die Notwendigkeit von Matrizen zur Replikation von Polynukleotiden bei der Entstehung des Lebens. Ein solches „nacktes RNA-Gen“ müsste RNA-Sequenzen entwickeln, um einen verbundenen Stoffwechsel zu katalysieren und seine eigenen Bausteine zu erzeugen und zu erhalten. Es gibt jedoch überhaupt keinen Grund, warum ein solcher verbundener Stoffwechsel für sich genommen auch kollektiv autokatalytisch sein sollte. Diese Überlegung stärkt die Annahme, dass die molekulare Reproduktion durch die Entstehung kollektiv autokatalytischer Sätze kleiner Moleküle entstanden ist.


Leben: Kantsche Ganze, katalytische Geschlossenheit, Zwangsgeschlossenheit, räumliche Geschlossenheit


Kantsche Ganze


In den 1790er Jahren führte der Philosoph Immanuel Kant ein grundlegendes Konzept ein: Ein organisiertes Wesen hat die Eigenschaft, dass die Teile für und durch das Ganze existieren (13). Kants Erkenntnis lag 230 Jahre lang im Dunkeln. Alle Lebewesen sind Kantsche Ganze, die für und durch ihre Teile existieren. Sie sind ein Kantsches Ganzes. Sie existieren durch Ihre Teile – Herz, Leber, Nieren, Lunge, Gehirn. Ihre Teile existieren durch Sie, das Ganze. Sie reproduzieren sich und Ihre Kinder erben Ihre Teile.


Alle lebenden Organismen sind Kantsche Ganze. Dies gilt auch für die fragwürdige Klasse der Viren. Innerhalb der Umgebung der Zelle sind Viren Kantsche Ganze, die sich reproduzieren. Die Teile des Virus erstellen im Kontext der Zelle mehrere Kopien der Teile des Virus, die sich selbst zu dem reifen Virus-Ganzen zusammensetzen. Es ist interessant, dass eine Definition des Lebens, die die eines Kantschen Ganzen einschließt, Viren als lebendig klassifiziert.


Kantsche Ganze sind eine spezielle Klasse dynamischer physikalischer Systeme. Ein Kristall ist kein Kantsches Ganzes. Die Atome des Kristalls können existieren, ohne Teile des Kristalls zu sein. Ein Ziegelstein ist kein Kantsches Ganzes. Eine Zelle ist ein Kantsches Ganzes.


Katalytischer Verschluss


Ein kollektiv autokatalytischer Satz, wie der 9-Peptid-Satz in Abbildung 2, erreicht den katalytischen Abschluss. Jede Reaktion im System wird von mindestens einem Molekül im System katalysiert. Alle lebenden Zellen erreichen den katalytischen Abschluss. Kein Molekül in einer lebenden Zelle katalysiert seine eigene Bildung. Die Moleküle in einer lebenden Zelle, ein Ganzes, erreichen den katalytischen Abschluss, wenn sich die Zelle reproduziert (14,15,16).


Systeme, die einen katalytischen Abschluss erreichen, sind ebenfalls Kantsche Ganze. Jedes der Peptide im kollektiv autokatalytischen Satz von 9 Peptiden in Abbildung 2 ist ein Teil, der für und mittels des Ganzen aus neun Peptiden existiert, deren gegenseitige Katalyse die Existenz aller Teile ermöglicht.


Einschränkungsabschluss


Lebende Zellen, darunter ein kleiner Molekülkomplex, der kollektiv autokatalytisch ist, wie er in allen 6700 Prokaryoten vorkommt, erreichen eine neu erkannte und tiefgreifende Eigenschaft: Zwangsschließung (17). Thermodynamische Arbeit ist die eingeschränkte Freisetzung von Energie in wenigen Freiheitsgraden (18). Ein Beispiel ist eine Kanone mit Pulver an ihrer Basis und einer Kanonenkugel, die neben dem Pulver liegt. Wenn die Kraft explodiert, schränkt die Kanone, die sowohl eine Randbedingung als auch eine Einschränkung ist, die Freisetzung von Energie ein, um die Kanonenkugel in die Mündung der Kanone zu schießen. An der Kanonenkugel wird thermodynamische Arbeit verrichtet. Daher kann in Abwesenheit von Einschränkungen bei der Freisetzung von Energie in einem Nichtgleichgewichtsprozess keine thermodynamische Arbeit verrichtet werden (19).


Newton sagt uns nicht, woher die Randbedingungen kommen. Die Kanone im Beispiel ist die Randbedingung. Aber woher kam die Kanone? Die entscheidende Antwort ist, dass thermodynamische Arbeit erforderlich war, um die Kanone zusammenzusetzen. Wir können daraus schließen: Keine Konstanten, keine Arbeit. Aber es ist oft Arbeit erforderlich, um die relevante Einschränkung zu konstruieren. Daher: Keine Einschränkungen, keine Arbeit. Keine Arbeit, keine Einschränkungen. Dieser Arbeits-Einschränkungs-Zyklus ist ein neues Problem, (19).


Maël Montévil und Matteo Mossio definierten 2015 erstmals Constraint Closure, (17):


Betrachten Sie ein System mit drei Nichtgleichgewichtsprozessen, 1, 2 und 3. Betrachten Sie drei Einschränkungen, A, B und C. Lassen Sie A die Energiefreisetzung in Prozess 1 einschränken, um ein B zu konstruieren. Lassen Sie B die Energiefreisetzung in Prozess 2 einschränken, um ein C zu konstruieren. Lassen Sie C die Energiefreisetzung in Prozess 3 einschränken, um ein A zu konstruieren (siehe Abbildungen 1a, 1b und 2).


Das obige System erreicht eine bemerkenswerte Eigenschaft: Constraint Closure. Die Menge der Constraints, hier A, B und C, beschränkt die Energiefreisetzung einer Menge von Prozessen, hier 1, 2 und 3, auf die wenigen Freiheitsgrade, die daher thermodynamische Arbeit leisten und genau dieselbe Menge an Constraints, A, B und C, konstruieren! Dieses System leistet buchstäblich die thermodynamische Arbeit, um sich selbst zu konstruieren, indem es seine eigenen Randbedingungsbeschränkungen für die Energiefreisetzung konstruiert, die dieselben Randbedingungen konstruieren.


Constraint Closure ist ein völlig neues Konzept. Wir konstruieren unsere Autos. Ein Auto ist eine komplizierte Anordnung von Teilen, die die Energiefreisetzung von Teilen, die auf andere Teile einwirken, einschränken. Gas explodiert, Kolben bewegen sich, Räder drehen sich. Aber Autos konstruieren keine eigenen Randbedingungen für die Energiefreisetzung.


Alle kollektiv autokatalytischen molekularen Reaktionssysteme erreichen sowohl katalytischen Abschluss als auch Zwangsabschluss. Alle sind Kantsche Ganze. Beispielsweise wirkt in dem kollektiv autokatalytischen 9-Peptid-Set in Abbildung 2 jedes Peptid als Ligase, indem es die beiden Fragmente des nächsten Peptids bindet. Durch die Ausrichtung der beiden Fragmente senkt das Peptid als Ligase die Aktivierungsbarriere für die Ligation der beiden Fragmente, um eine zweite Kopie des nächsten Peptids zu erstellen. Es wird thermodynamische Arbeit geleistet, um das nächste Peptid zu konstruieren, während eine Peptidbindung gebildet wird. Da dies für alle Reaktionen in diesem kollektiv autokatalytischen Peptidsystem gilt, erreicht das System – als Ganzes – sowohl katalytischen Abschluss als auch Zwangsabschluss. Das System konstruiert sich selbst. Und das System ist auch ein Kantsches Ganzes.


Es ist von größter Wichtigkeit, dass alle lebenden Zellen eine Einschränkungsschließung erreichen. Zellen konstruieren die Randbedingungen bei der Freisetzung von Energie, die wiederum die gleichen Randbedingungen konstruieren. Zellen konstruieren sich selbst. Computer und Lokomotiven konstruieren sich nicht selbst.


Reproduzierende Zellen sind grundsätzlich nicht von Neumanns selbstreproduzierende Automaten (20). Diese basieren auf einem „Universalkonstruktor“. Um etwas Bestimmtes zu konstruieren, benötigt der Universalkonstruktor spezifische „Anweisungen“. Diese sind in einem physischen System kodiert, das sich innerhalb des Universalkonstruktors befindet. Die physisch verkörperten Anweisungen spielen eine Doppelrolle: Sie werden verwendet, um eine Kopie des Universalkonstruktors zu konstruieren, in die eine physische Kopie der physischen Anweisungen konstruiert und dann eingefügt wird. Die Doppelrolle der physischen Anweisungen bildet genau den Unterschied zwischen Software und Hardware. Im schärfsten Gegensatz dazu konstruiert sich eine lebende Zelle durch katalytische und Constraint-Closure spezifisch selbst. Eine Zelle ist kein Universalkonstruktor, der separate Anweisungen benötigt. Der selbstreproduzierende 9-Peptid-Satz in Abbildung 2 hat keine trennbaren „Anweisungen“, die seine Bildung kodieren. Die Konzepte von Software und Hardware sind hier nichtig.


Paul Davies (21) weist darauf hin, dass Gene zusammen mit dem Transkriptions- und Translationsapparat im Kontext einer lebenden Zelle tatsächlich ein universeller Konstruktor für alle möglichen kodierten Polypeptide sind. Die Gene können als eine Reihe von Anweisungen betrachtet werden. Die lebende Zelle, in der sich die Gene befinden, ist jedoch selbst kein universeller Konstruktor. Sie konstruiert sich spezifisch selbst. Würde jedes ihrer mehreren tausend Gene durch eine zufällige DNA-Sequenz ersetzt, die ein zufälliges Polypeptid kodiert, würde die Zelle, die diese neuen Proteine synthetisiert, mit ziemlicher Sicherheit zugrunde gehen.


Lebende Organismen haben sich so entwickelt, dass sie verschachtelte Kantsche Ganze bilden. Ein Prokaryot ist ein Kantsches Ganzes erster Ordnung. Eine eukaryotische Zelle, ein Symbiont mit Mitochondrien und Chloroplasten (22, 23), ist ein Kantsches Ganzes zweiter Ordnung, das Kantsche Ganze erster Ordnung enthält. Ein mehrzelliger Organismus ist ein Kantsches Ganzes dritter Ordnung, das Kantsche Ganze zweiter und erster Ordnung enthält.